Lohnt sich der Aufwand der Einzigartigkeit?

Einzigartigkeit ist ein Argument, dass nicht immer überzeugen mag. Der Aufwand ist hoch. Sonst würde es jeder machen und eine steile Lernkurve schreckt (hoffentlich andere) ab. Letztere steht allerdings auch der eigenen Einzigartigkeit im Weg.

Bevor Sie weiterlesen: Sie werden in diesem kurzen Artikel gute Fragen zu einer Investition in Einzigartigkeit finden. Aber eine generelle Antwort finden Sie nicht. Stattdessen schreibe ich über eine Erfahrung, die bei weitem noch nicht abgeschlossen ist.

Als meine Frau und ich im Sommerurlaub mein #Storytellity-Projekt entwickelten, ging es erst nur um den Inhalt.

#Storytellity beinhaltet 30 kleine Tipps, wie jeder seine Geschichten lebendig werden lässt. Bezüglich der Präsentation steht in der Projektskizze nur „einheitliche Bildsprache“. Die Inhalte waren schnell geschrieben. Als Fachbuchautor geht das schnell. Die Sache mit der Bildsprache dauerte dann schon länger. Sollte ich meine Fotos von Statuen nehmen? Oder Einfach schöne Blumenbilder? Statuen vielleicht, aber Blumen? Nein, keine Chance! Der Termin für den Start von #Storytellity rückte näher und Ideen blieben erst einmal aus. In meiner Projektskizze steht dazu: »Die Bilder verkaufen den Inhalt. Kompetenz allein hat heute nicht mehr den Stellenwert, wie vor einigen Jahren.«

Eines morgens hatte ich die Lösung: „Wie wäre es, wenn ich jeweils eine bekannte Geschichte in Form eines Fotos eines Papier-Dioramas erzähle?“

Meine Frau und ich hatten vor einiger Zeit eine Ausstellung über Dioramen in Frankfurt besucht, damit ich lernen konnte, wie so etwas funktioniert. Die Eintrittskarte dafür hängt bei uns noch immer am Kühlschrank. Sie war meine Inspiration.

Mein Hauptargument für den von mir leider stark unterschätzten Aufwand: Einzigartigkeit. So etwas gibt es bisher noch nicht.

Erster Versuch einer Skyline Kulisse

Test meiner ersten Papier-Kulisse er Hochhaus-Skyline mit Playmobil Männchen als Requisite für die Requisite

Mein erstes Diorama war eine Hochhaus-Skyline und mehr oder weniger ein „proof of concept“. Ja, es funktioniert. Doch der Aufwand ist hoch. Wie bei allem Neuen ist die Lernkurve ziemlich steil und die Ergebnisse machen mich nicht unbedingt stolz. Malen ist das eine, aber ich muss zusätzlich mit dem Bastelmesser oder besser mit dem Skalpell zeichnen.

Aber ich lerne. Anstatt einfach einzelne Kulissen anzufertigen, die später irgendwie zusammenpassen sollen, skizziere ich inzwischen mein Bild vorab und überlege, welche Kulissen ich aus dem Bestand nutzen kann und was ich noch anfertigen muss.

Positiver Nebeneffekt: Die Bilder sind weniger voll. Dioramen leben zwar von unterschiedlichen Bildebenen, aber eine vollgestellte Kulisse ist in erster Linie nur vollgestellt.

Bild, wie Hänsel und Gretel nach überstandenem Märchen den Wald verlassen

Meine erstes Produktivszenario. Der Märchenwald von Hänsel und Gretel

Ein gutes Beispiel dafür ist mein erstes Produktivszenario. Der Wald, aus dem Hänsel und Gretel nach bestandenem Abenteuer zurückkehren, mag in der Natur unendlich viele Bildebenen haben. Aber für meine Bildgeschichte reichten die wesentlichen Elemente.

Inzwischen würde ich die jeweiligen Dioramen anders anordnen und schlanker ausstatten. Trotzdem habe ich die ersten Szenarien nicht neu inszeniert. Ich lasse meine Leser an meinem Lernprozess teilnehmen. Das ist untypisch für mich. Die meiste Zeit in meinem Leben wollte ich immer perfekt sein. Doch Perfektion macht selten sympathisch. Teure Fehler wie diesen, muss ich nicht mehr als hundert Mal wiederholen. 😉

Außerdem würde ich andernfalls Angesichts meines immer noch intensiven Lernprozesses jeden Tag wieder neu anfangen müssen.

Als Hobbyfotograf liebe ich es, neue Sichtachsen zu entdecken. Im normalen Leben kann es allerdings gut sein, dass ein Strommast im Weg steht oder ein hässliches Auto. Dioramen sind dagegen Miniaturwelten und ich kann mir meine Sichtachsen so anlegen, wie ich das möchte. Was im Weg steht, muss weichen.

Dracula und eine junge blonde Frau vor dem Hintergrund einer Skyline

Optischen Täuschung. Dracula und die Frau „stehen“ nicht auf der Terrasse.

Seit heute habe ich auch noch die Welt der optischen Täuschung für mich entdeckt. Das Auge sieht, was es gewohnt ist und nicht unbedingt die Realität. Auf diese Weise lassen sich dramatische Bilder schaffen.

Blick von oben auf die Kulissen. Mit Abstandshaltern und angeordneten Bildebenen ensteht der Eindruck einer "echten" Welt.

Blick von oben auf die Kulissen. Kamerawinkel und die richtige Anordnung der Bildebenen schafft die Illusion einer kleinen Welt.

Es bleibt also spannend!

Fragt sich nur: Lohnt sich das Ganze? Für eine einmalige Aktionen in den sozialen Medien ist der Aufwand viel zu hoch. Allerdings bin ich ja inzwischen so etwas wie der König des methodischen Geschichtenerzählens. Meine Papier-Kulissen sind daher Investitionen in die Zukunft. Egal welche Geschichte, ich werde sie in Zukunft mit meinen Kulissen erzählen können. 😮

Mit ihrer Hilfe kann ich PowerPoints und andere Präsentationsmittel schaffen, die niemand anders in der Branche hat oder haben wird. Was anfangs noch dilettantisch ist, wird schon bald auch den Ansprüchen eines professionellen Publikums genügen. Der Lernkurve sei Dank!

Mit anderen Worten: Ja, aus meiner Sicht lohnt sich der Aufwand. Denn in einer Welt, in der jeder vieles gut kann, ist Einzigartigkeit eine nachhaltige Währung.

Nachwort

Wer neue Herausforderungen annimmt, sollte vielleicht vorher jemanden fragen, der sich damit auskennt. Auf diese Idee bin ich natürlich erst einmal nicht gekommen. Umso erfreulicher gestaltete sich der Kontakt mit Bettina Schöbitz, die mit ihrem Visutrainment-Ansatz Mal-Analphabeten zu Flipchart-Akrobaten ausbildet.

Ihr Geheimnis: Weglassen! Details werden überschätzt. Sie hat mich mit viel Geduld zu hochwertigen Farben und Materialien überredet. Und auch damit hat sie recht. Alles geht einfacher, wenn das Material nicht im Weg steht. 

Wer darüber schläft, verliert den Moment

In meinem letzten Artikel habe ich eine für viele Entscheider kontroverse These vertreten. Wer im Affekt entscheidet, genießt größere Klarheit und kann auf Verständnis für unpopuläre Entscheidungen hoffen. Das widerspricht natürlich allem, was wir in einem rationalen und aufgeklärten Zeitalter glauben. Die empfundene Klarheit verdanken wir der Ignoranz aller widersprüchlichen Informationen und das Verständnis bekommen wir, weil unser Umfeld uns einräumt, auch nur ein Mensch zu sein. Die offizielle Doktrin ist dagegen: Wenn der Mensch im Affekt nicht vernünftig entscheiden kann, dann soll er eben warten, bis er es kann! Also eine Nacht darüber schlafen.

Das habe ich früher auch geglaubt und ich glaube es noch immer. Allerdings empfehle ich ebenso, die Energie und Klarheit des Affektmoments für seine Entscheidungen zu nutzen. Wenn wir beides miteinander verbinden, macht uns das zu besseren Entscheidern.

Aber wie soll das gehen?

Wenn ich eine Nacht über meine Entscheidung schlafe, dann bin ich zum Entscheidungszeitpunkt wahrscheinlich ausgeglichen. Denn das ist ja der Sinn des Ganzen. Ohne diesen Kniff verarbeiten wir nur Informationen, die unsere Emotion im Affekt unterstützen. Nach dieser Nacht ist der Affekt aber nicht mehr verfügbar. Will ich umgekehrt den Affekt nutzen und gleich entscheiden, verhindert ebendieser eine ausgeglichene Bewertung.

Beides scheint sich auszuschließen. So scheint es. aber nur, weil wir 50 Prozent der Lösung ausblenden. Der Denkfehler liegt darin, dass wir vom Moment des Affekts ausgehen und ab da unseren Gestaltungsraum sehen.

Wie wäre es, wenn wir stattdessen die Zeit davor nutzen?

Anstatt umständlich lange darauf zu warten, bis wir wieder emotional ausgeglichen sind, können wir auch einfach einen ruhigen Moment nehmen und in die Zukunft denken.

Ein Beispiel

Machen wir es konkret: Nehmen wir an, Du planst, mit einem anderen Unternehmer zu kooperieren. Ihr wollt gemeinsam einen neuen Markt erschließen. Natürlich kannst Du die Zukunft nicht vorhersagen. Allerdings können die Ergebnisse unterschiedlich ausfallen. Darüber kannst Du ganz entspannt nachdenken, solange noch keine Fakten geschaffen wurden.

Die Kooperation könnte ein Riesenerfolg sein. Gemeinsam seid Ihr unschlagbar und die Kunden stehen bei Euch Schlange. In dem Fall ist keine Entscheidung nötig. Alles soll so weiter laufen, wie bisher. Was aber, wenn der Erfolg eher mau ist? Oder wenn Du sogar einen Stamm-Kunden verlierst, weil er von dem gemeinsamen Produkt nicht überzeugt ist?

Wenn es nicht läuft, gibt es wahrscheinlich auch keinen Affekt. Du könntest daher auch entscheiden, wenn Du das enttäuschende Ergebnis siehst. Für den Affekt stimmt das zwar, aber dann spielen möglicherweise die sogenannten sunken costs eine Rolle. Du unterliegst dem Eindruck, dass Du weitermachen musst, weil Du schon so viel Geld in den toten Gaul gesteckt hast. Besser ist es, wenn Du Dir vorher die Bedingungen überlegst, ab wann Du dem schlechten Geld nicht noch gutes hinterherwirfst.

Was passiert, wenn die Kooperation schlecht für Deinen Ruf ist und Deine Stammkunden das Weite suchen? Ganz klar: Diese Partnerschaft muss enden! Die Frage ist dann nur wie. Handelt Dein Partner rücksichtslos, dann ist der Affekt Dein bester Freund. Ist Dein Partner dagegen nur unfähig, dann kannst Du auch warten, bis der Ärger verraucht ist. All das entscheidest Du bereits, bevor irgendetwas passiert ist. Deine Entscheidungen sind daher ausgewogen.

Vorratsentscheidungen

Wir treffen also unsere Entscheidungen auf Vorrat für den Zeitpunkt, wenn wir entscheiden müssen und beides brauchen, Affekt und Vernunft. Für die Vernunft sorgen wir im Vorfeld. Der Affekt sorgt dafür, dass wir es auch durchziehen und die Akzeptanz unseres Umfelds haben.

Ich persönlich entscheide so seit Jahren. Nicht selten fällt es mir allerdings schwer, mich an meinen Plan zu halten. Insbesondere wenn Betroffene mich bitten, meine Entscheidung zu überdenken.

Aus Erfahrung muss ich allerdings sagen, dass ich revidierte Entscheidungen in der Regel bereue. Geplante Entscheidungen fallen mir zwar in der Umsetzung hin und wieder schwer. Aber ich habe sie noch nie bereuen müssen.

Trotzdem erlebe ich auch meine unvorbereiteten Affekt-Momente. Ich bin vielleicht zu faul, mit allem zu rechnen. Inzwischen bin ich es nicht mehr gewohnt, mich im Affekt zu bremsen. So fallen dann Entscheidungen, die ich liebend gerne zurückdrehen würde.

Aber wer ist schon perfekt?

Mensch, Du Unmensch!

Überschlafen oder nicht?

Schlaf erst einmal eine Nacht drüber! – Dieser Rat klingt schlau. Aber er macht unpopuläre Entscheidungen nahezu unmöglich. Natürlich treffen wir in der Hitze des Moments schon einmal Entscheidungen, die wir später bitter bereuen. Warum also nicht einfach etwas warten und in einem ruhigen Moment abgewogener entscheiden?

Fans der preußischen Nacht sollten ab hier vielleicht nicht mehr weiterlesen.

Ich frage mich, ob diese Idee des Überschlafens wirklich so gut ist. Denn offensichtlich hat die Evolution Menschen bevorzugt, die ihre Entscheidungen emotional treffen. Andernfalls müssten wir hier nicht diskutieren. Affekt-Entscheider wären schon lange ausgestorben.

Welchen Vorteil könnten wir aus Affekt-Entscheidungen haben?

„Im Kampf kannst Du nicht lange fackeln“, meinte einer meiner Freunde. Das stimmt, aber es geht hier um Entscheidungen nach dem Kampf. Wenn wir realisiert haben, dass einer unserer Mitstreiter ein Feigling ist oder illoyal oder einfach eine taube Nuss. Also wenn im Betriebsalltag der Kunde den Auftrag storniert hat und klar ist, wo der Schuldige sitzt.

Welchen Sinn sieht die Natur in solchen Momenten in einer Affekt-Entscheidung?

Im Affekt fühlt sich der Entscheider weit weniger gehemmt als am nächsten Tag oder gar eine Woche später. Emotionen schützen sich selbst (Refraktärphase). Daher verarbeitet der Entscheider in diesen Momenten lediglich Informationen, die sein Gefühl bestätigen. Entschuldigende Faktoren, wie zu viel Stress oder eine belastende Kindheit kommen als Entscheidungskriterien nicht in Frage.

Sobald das Gefühl verraucht ist, bringen wir zahlreiche weitere Faktoren ins Spiel. Die Entscheidung fällt schwerer, weil das Bild nicht mehr so klar ist. „Der Luis hat das ja nicht mit Absicht gemacht. Das ist ein ganz anständiger Mensch. Vielleicht habe ich ihm zu viel zugemutet? Außerdem muss er eine große Familie versorgen …“.

Wer Luis jetzt noch auf die Straße setzt, ist ein Unmensch.

Geschieht es dagegen mit der Wut des Gerechten im Bauch, ist der Entscheider ein Mensch mit allen seinen Fehlern. Mit anderen Worten, die Affekt-Entscheidung genießt eine höhere Akzeptanz im Umfeld als die gleiche Entscheidung ohne Affekt.

„Wenn das ein evolutionärer Erfolgsfaktor ist, warum sollte wir nicht grundsätzlich im Affekt entscheiden?“ So ein Zuschauer in einem meiner Vorträge. Die Frage muss sich natürlich jeder selbst beantworten.

Meine Antwort darauf lautet: Weil unsere Zivilisation genau das ist, ZIVIL. Wir kämpfen nicht mehr ums Überleben. Sondern wir kämpfen um eine lebenswerte menschliche Gesellschaft.