Der Wanderer
Robert Schmitz freut sich auf seine Wandertour, die ihn von Hierstadt nach Sinnigen führen wird. Auf den Karten sieht die Strecke ganz einfach aus.
Aber kaum hat er Hierstadt verlassen, beginnen die Probleme.
Schlecht beschildert
Wegweiser gibt es kaum und keiner weist nach Sinnigen. Vielmehr sind es Orte, wir Reichmannsdorf, Wolkenkuckucksheim und Verschuldingen.
Eigentlich müsste es laut Karte auch Spardorf geben. Aber die Leute, denen Robert begegnet lachen nur. Es sei so klein, dass die meisten es nur von Erzählungen kennen.
Schlechter Rat
Überhaupt ist es offensichtlich keine gute Idee, andere Wanderer nach dem Weg zu fragen. Zum einen haben viele von Sinningen gar nicht gehört und andere führen ihn auf gut ausgebaute Wege, die sich bald als Sackgasse erweisen.
Im Kreis gegangen
Immer wieder geht er im Kreis und scheint sich nicht nennenswert von Hierstadt zu entfernen. Er fängt langsam an, zu verzweifeln. Seine Vorräte werden knapp und von Luft und Liebe kann er auch nicht leben.
Viele raten ihm, aufzugeben und wieder nach Hierstadt zurückzukehren. Denn offensichtlich habe er schon alle Wege ausprobiert und keiner führe wohl nach Sinningen.
Gescheitert und Frustriert
Schweren Herzens sieht Robert ein, dass sie Recht haben. Doch gerade als er sich auf den Rückweg machen möchte, trifft er einen alten Mann, der ihn um etwas Wegzehrung bittet.
“Ich habe leider nichts mehr”, antwortet Robert. Der alte Mann sieht ihn misstrauisch an: “Wollen Sie einen alten Mann hungrig zurücklassen?”
Neben der Enttäuschung über sein Scheitern wird Robert langsam ärgerlich. Soll der Alte doch selbst nachsehen.“Also, Sie können gerne meinen Rucksack durchsuchen”.
Der andere durchsucht methodisch den gesamten Rucksack. “Sie haben Recht. Da ist nichts mehr übrig. Außer vielleicht diesem Zettel. Aber so verzweifelt bin ich nicht, Papier zu essen. Im Übrigen ist es wahr, was dort steht.” Der Alte warf Robert seinen Rucksack und den Zettel vor die Füße und setzte seinen Weg fort.
Etwas verwirrt nahm Robert den Zettel, um ihn in wieder in den Rucksack zu stopfen.
Darauf hatte er sich vor der Wanderung seine Reiseroute aufgemalt. Nun gut, das hatte ihm ja nicht viel geholfen. Was sollte daran wahr sein? Nichts was er geplant hatte, war aufgegangen! Frustriert zerriss der den Zettel.
Ein Fetzen Wahrheit
Als der die Schnipsel vom Boden auflas, fiel ihm ein Fetzen mit einem Satz in die Hände.
“Wenn ich unterwegs besondere Dinge sehen will, muss ich mir meinen eigenen Weg suchen”. Das musste der Alte gemeint haben!
Unerschütterliche Entschlossenheit
Wenn es keinen Weg nach Sinningen gab, dann musste sich Robert eben seine eigene Route suchen.
Neuer Mut und Freude erfüllen Robert. Er hatte nicht alle Wege versucht. Es gab noch unendlich viele Wege, die kein anderer je gegangen ist. Er würde Sinningen erreichen. Da war es sich plötzlich ganz sicher.
Die lange Reise
Er durchquert weitläufige Grasebenen, auf denen Kühe grasen und die Sonne genießen. Sein Weg der keiner ist, vermittelt ihm eine tiefe innere Ruhe und macht ihn glücklich. Bauern denen er unterwegs begegnet, freuen sich über seine Gesellschaft und laden ihn zu Milch, Brot und Käse ein.
Da merkte er erst, wie hungrig er gewesen war. Denn es war bestimmt der köstlichste Käse und das beste Brot, das er jemals gegessen hatte.
Er durchquert einen tiefen dunklen Wald. Immer wieder muss er Bäume erklimmen, um sich zu orientieren. Aber auch dieser Wald atmet Frieden und Ruhe aus. Auf einer Lichtung laden ihn Pilzsucher zur Brotzeit mit Pilzsuppe ein. Es ist die köstlichste Suppe, die er je gegessen hat.
Später kommt er zu einer zerklüfteten Flusslandschaft mit wilden Canyons und hohen Felsnadeln. Das Gelände lässt einen geraden Weg nicht zu. Aber Robert freut sich über die vielen kleinen Abenteuer, die er dort erlebt. Ein Angler teilt sich unterwegs seinen Fang mit ihm. Es ist die beste gegrillte Forelle, die er je gegessen hat.
Endlich Sinningen!
Trotz der vielen Hindernisse und Ablenkungen hält er aber seinen Weg. Und eines Abends sieht er die Dächer des Ortes in der untergehenden Sonne blitzen. Er hat Sinningen gefunden!
Als die Bewohner Robert bemerken, laden sie ihn sofort zu einem spontanen Fest ein. Vorher darf er sich in das goldene Buch der Gemeinde eintragen.
Ohne Wegweiser
Nachdem Robert ausgiebig gegessen und mit seinen neuen Freunden gefeiert hat, fragt er den Bürgermeister warum es keine Straßen und Wege nach Sinningen gibt.
Daraufhin fragt der Bürgermeister zurück: “Robert, wie bist Du hierher gekommen?”
Erfahrungsaustausch
“Ich habe weite Grasebenen durchquert, einen tiefen dunklen Wald durchwandert und bin durch eine wilde Canyon-Landschaft geklettert, bis ich schließlich die Dächer von Sinningen in der Sonne blitzen sah.”
Fritz, ein anderer Bewohner erzählt: ”Ich habe die tiefsten Schluchten durchquert, die höchsten Berge erklommen und die trockensten Wüsten überstanden, bis ich Sinningens Dächer in der Sonne blitzen sah.”
“Auch ich bin ich nicht in Sinningen geboren”, eröffnete ihm der Bürgermeister. “Auch ich war lange unterwegs. Ich habe in Goldingen, Reichmannshausen, Eitlingen und sogar Wohlingen gelebt. Eines Tages konnte ich es nicht mehr ertragen und bin einfach losgelaufen.
Ich wusste, dass Sinningen nicht weit sein konnte. Daher lief ich eine Stunde und da sah ich seine Dächer in der Sonne blitzen.”
“Verstehst Du jetzt, warum es keine Wegweiser und Straßen nach Sinningen gibt?”
Der eigene Weg
Robert begriff. “Jeder muss seinen eigenen Weg nach Sinningen gehen. Daher gibt es keine Wegweiser, weil sie jeden anderen in die Irre führen würden”.
“Das könnte fast stimmen, wäre es nicht falsch.” Die Stimme kannte Robert doch! Es war der Alte, der seinen Rucksack vergeblich durchsucht hatte.
Sinningen ist überall
“Schau Dich doch einmal genau um!” Plötzlich merkte Robert, dass ihm Sinningen sehr vertraut vorkam.
Er war in Hierstadt(!) und auch wieder nicht. Etwas hatte sich seit seiner Abreise fundamental verändert.
Und dann verstand er es. Er hatte sich verändert! Er war bereit gewesen auf der Suche nach Sinningen abseits der bekannten Wege zu gehen. Er hatte viel Neues erlebt und sich weiter entwickelt.
“Sinningen ist überall und in jedem. Aber wir müssen so weit sein, es sehen zu können.”
Ab dem Tag blieb Robert in Sinningen, wohin er auch ging.
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