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Treibjagd auf Stephano

Kennen SIe das Prinzip einer Treibjagd? Sie brauchen eine große Anzahl von Treibern, einige Hunde und natürlich den oder die Jäger. Die Beute wird durch Lärm (die Treiber schreien und klopfen so laut sie können) aufgeschreckt und wird in eine vermeintlich sichere Richtung getrieben. Ironischerweise lauert genau dort die einzig wirkliche Gefahr. Denn die Treiber sind nicht bewaffnet (von einem Stock einmal abgesehen). Die Beute möchte sich aus der Situation befreien und läuft dorthin, wo es sicher scheint. Die Erkenntnis, einer Falle aufgesessen zu sein, kommt spät und ist dann nutzlos.

Genau das Gleiche passiert auch in Entscheidungssituationen. Entscheidungstreiber bauen Druck auf, indem das Problem einen immer größeren Leidensdruck erzeugt. Der Unternehmer möchte sich damit zunächst nicht auseinandersetzen. Schon bald ist aber der Zwang da (die Treiber sind schon ziemlich nah). Was will der Unternehmer in dieser Situation? Er möchte das Problem lösen. Er läuft also auf die Jäger zu (seine Entscheidungsalternativen) und verliert die Kontrolle über die Entscheidung, ohne es zu merken. Er ist also in der Treibjagdfalle.
Ein dafür passendes Beispiel liefert ein Textilhändler aus Italien, den ich unlängst auf einer Zugfahrt kennenlernen durfte.

Wir schreiben das Jahr 1999. Unser Unternehmer, nennen wir ihn Stephano, hat ein florierendes regionales Einzelhandelsunternehmen mit 14 Filialen in Italien. Damit ist er bisher sehr erfolgreich gewesen und konnte in den letzten 2 Jahren über neue Filialen und einen höheren Umsatz/Filiale um 30% wachsen.

Um mit den gestiegenen Anforderungen zurecht zu kommen, baut er eine kleine IT-Abteilung mit einem jungen Informatiker als Führungskraft auf. Ein bißchen Ahnung vom Handel bringt er auch mit, da er über das Thema Ecommerce promoviert hatte.

1999 ist eines der Boomjahre des DotCom-Zeitlalters. Immer wieder spricht der IT-Leiter Stephano darauf an, dass er sich doch mit der Thematik befassen sollte. Die Presse berichtet auch immer wieder davon, dass für den Handel ein neues Zeitalter anbrechen würde. Wer nicht dabei ist, den bestraft das Leben.

Da Stephano ein sehr traditioneller Unternehmer ist, gibt er erst einmal nicht viel darauf. Aber eine leichte Unruhe ergreift ihn doch. Bald liest er von zahlreichen Einzelhandelsunternehmen in Italien, die ihre Pläne für das Internet bekannt geben.

Schließlich überrascht ihn sein IT-Leiter mit der Kündigung. Er fühle sich bei Stephano einfach unterfordert und außerdem könne er nicht länger zusehen, wie das Unternehmen systematisch seine Chancen verspiele. Mit viel Überredungskunst gelingt es Stephano, den unglücklichen Informatiker zum Bleiben zu überreden.

Mittererweile ist er überzeugt, dass er etwas tun müsse. Daher beschließt er, ein Ecommerce-Projekt ins Leben zu rufen. Nach einigen Gesprächen mit den Fachleuten ist ihm klar, dass ihm gar nichts klar ist 😮

Allerdings wächst in ihm dadurch nur der Handlungsdruck. Denn so wie es ihm dargestellt wird, findet der Handel bald nur noch mit Unterstützung des Internet statt. Aber keine Sorge, sein IT-Leiter hat bereits einen Projektplan ausgearbeitet, wie Stephano den Rückstand wieder aufholen kann.

Danach reicht es natürlich nicht mehr, einfach nur einen Shop zu haben. Nein, dieser muß natürlich in die Warenwirtschaft integriert sein. Damit die zahlreichen zu erwartenden Bestellungen auch zeitgerecht abgearbeitet werden können, muss Stephano im Lager seines Unternehmens zusätzlich spezielle Kommissionier-Arbeitsplätze einrichten. Alles zusammen muß Stephano eine hohe 6stellige Eurosumme investieren, um zukünftig ganz vorne mit dabei sein zu können. Er wird diesen Betrag finanzieren müssen, aber laut Businessplan wird sich der Einsatz innerhalb von 3 Jahren amortisiert haben!

Obwohl sich Stephano nicht ganz wohl dabei fühlt, entscheidet er sich dafür, ein „Clicks and Mortar Retailer“ zu werden. Das Projekt ist am Ende natürlich 20% teurer, als kalkuliert. Aber nach exakt 6 Monaten wird der Web-Shop für den Kundenansturm freigegeben.

Doch trotz einer Anzeigenkampagne sowohl im Internet als auch in den klassischen Medien zeigt sich kaum ein Kunde. Oder wie Stephano es ausdrückte: Er hätte auch gleich eine Filiale auf dem Grund des Mittelmeers errichten können. 🙁

Kurze Zeit später kam der große DotCom-Crash und viele der vollmundigen Ankündigungen von Stephanos Konkurrenten stellten sich als reine Lippenbekenntnisse heraus.

Stephanos Unternehmen zahlt noch heute die Kredite aus seiner größten Fehlinvestition ab. Den unnützen Shop gibt es nicht mehr. Er mußte zusätzlich einen Investor mit an Bord nehmen und bäckt jetzt kleinere Brötchen.

Aber es geht ihm gut, denn er hat Karten für die Weltmeisterschaft. Na dann 😉