Beliebige Wahrheit
“Mensch Maier, wie konnten sie so einen Bockmist bauen? Sie können dem Kunden doch nicht erzählen, dass wir nicht wissen, warum unsere Software bei ihm nicht läuft!”
“Der Kunde schätzt aber unsere Offenheit. Das war auch ein Grund für die Auftragsvergabe.”
“Klar! Aber wir müssen hier auf unseren Ruf achten. Den Auftrag haben wir ja schon. Also halten Sie gefälligst die Klappe, sonst sind Sie die längste Zeit Projektleiter gewesen.”
Es ist kein Geheimnis, dass jeder seine eigene Realität hat. Unser Gehirn interpretiert unsere Wahrnehmung auf der Grundlage unserer Erfahrungen, Werte, Glaubenssätze und unseres situativen Zustandes.
Fans haben ihre eigene Wahrheit
Sehr schön beobachten können wir das gerade im Sport. Fiebern wir mit einer Mannschaft mit, z.B. mit Jogis Jungs, dann ist das etwas anderes, als wenn eine Mannschaft wie Italien oder Spanien spielt.
Wenn “unsere” Mannschaft siegt, hat das eine andere Bedeutung für uns als wenn die Spanier im 1/8-Finale Portugal aus dem WM-Turnier werfen. Vielleicht hatte der eine oder andere Cristiano Ronaldo und seinen Mannen die Daumen gedrückt, weil sie im Halbfinale ein einfacher Gegner wären als der Europameister.
Ein spanischer Fan hat eine andere Realität. Für ihn war das Abseitstor von David Villa ein Befreiungsschlag für die überlegene Mannschaft. Er freut sich über den vermeintlich leichten Gegner Paraguay im Viertelfinale.
Urteile ohne Grundlage
Unterschiedliche Menschen haben alle ihre eigene Wahrheit. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass ihre Ziele von einander abweichen. Daher wundert es mich oft, wie leicht wir ein Urteil über die Entscheidungen anderer Leute fällen.
Denn woher wollen wir wissen, welche Ziele der andere verfolgt und welchen Maßstab er dabei anlegt?
Vorsorge für gemeinsam getragene Entscheidungen
Der Konflikt darüber ist vorprogrammiert. Daher müssen die Führungskräfte in Unternehmen eine gemeinsame Vision haben, auf deren Grundlage sie handeln und dazu Maßstäbe entwickeln, denen alle zustimmen können.
Die Gnade der Interpretation
In er Praxis ist es heute allerdings häufig ganz anders. Die Maßstäbe entwickeln viele Führungskräfte nach eigenem Gusto und eine Vision gibt es lediglich über die nicht erreichbaren Zahlenziele.
Ein Vorgesetzter in so einem Unternehmen hat damit einen komfortablen Job. Denn seine Mitarbeiter sind der Gnade seiner Interpretation der Wirklichkeit ausgeliefert.
Micromanagement vs. Arbeitsteilung
Natürlich ist das nur vordergründig so. In Wirklichkeit schaffen die Verhältnisse eine große Unsicherheit. Denn niemand kann im Sinne des Ganzen handeln und das Konzept der Arbeitsteilung und Delegation wird durch das Mikromanagement von Führungskräften unterlaufen.
Sie haben die Angst, dass ihre Mitarbeiter nicht in ihrem Sinne handeln. Unrecht haben sie damit nicht. Denn woher sollten die Mitarbeiter wissen, was das ist?
Spielräume laden zum Spiel ein
Im Eingangsbeispiel hatte Projektleiter Maier andere Maßstäbe als sein Chef. Letzterer würde in der gleichen Situation anders entscheiden. Allerdings liegt auch hier viel Spielraum in der Interpretation.
Maier möchte durch Offenheit den Ruf des Unternehmens schützen, während sein Chef die Peinlichkeit eines noch nicht verstandenen Problems fürchtet.
Entscheidungen geben unserem Handeln eine Richtung. Daher sollten wir dabei immer die mittel- und langfristigen Auswirkungen stärker gewichten als die kurzfristigen.
Kurzfristig mag es peinlich sein, Unwissenheit zuzugeben. Langfristig schafft diese Offenheit allerdings mehr Vertrauen als ein Dienstleister, der ständig versucht, sich durchzulavieren.
Natürlich ist das wiederum meine eigene Interpretation. Meine Leser könnten ganz anders darüber denken. Das liegt so in der Natur von Entscheidungen. 🙂
Interpretationsfrage: Hat Maiers Chef das Wohl seiner Karriere (kurzfristig) oder das Wohl der Firma (langfristig) im Sinn?
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