Kleiner Bruder, wie entscheidest Du?
Rainer Brüderle steht gerade im Kreuzfeuer der Medien. Vielleicht fragt er sich gerade, ob das ein Sturm ist, der bald weiter zieht, oder ob er am Ende einer langen politischen Karriere steht.
Die Journalistin Laura Himmelreich hatte zuvor dem Sexismus des FDP-Fraktionsvorsitzenden einen Artikel (Der Herrenwitz) gewidmet. Offensichtlich hält sich der 67-Jährige für flotter als es Frau Himmelreich tut und ist ihr gegenüber anzüglich geworden.
In der Presse und im Fernsehen wird derzeit viel über den Fall diskutiert. Alice Schwarzer sieht Brüderle schon am Ende, während andere sich fragen, ob Frau Himmelreich als Journalistin nicht fehl besetzt ist.
Das interessiert mich hier allerdings nur so weit, wie die öffentliche Meinung die Entscheidungssituation von Rainer Brüderle beeinflusst. Wer sich schämen soll und für was, lasse ich also erst einmal dahin gestellt.
Die Situation
Der FDP-Politiker hängt derzeit kopfüber in der Jauchegrube. Am Montag war sein Fall Thema bei Markus Lanz, zuvor schon bei Günther Jauch. Nahezu jede Printpublikation und jedes Internetmedium hat die Geschichte aufgegriffen. Auf Twitter gibt es eine Kampagne von der Kommunikations-Beraterin Anne Wiezorek unter dem Hashtag #Aufschrei.
Allerdings scheint die Diskussion mit angezogener Handbremse geführt zu werden. Brüderle ist der exemplarische Fall. Allerdings gibt es offensichtlich ganz andere Beispiele für den täglichen Sexismus. Daher möchte niemand wirklich den Stab über den “FDP-Opa” brechen.
Brüderle selbst hat sich einen Maulkorb verpasst. Er äußert sich nicht zum Thema.
Eigentlich möchte sich niemand in Rainer Brüderle und seine Situation versetzen. Zu klebrig ist die Angelegenheit. Allerdings hat jeder von uns schon Dummes von sich gegeben, sogar über längere Zeiträume. Bei Brüderle ist jetzt eben der Zeitpunkt gekommen, in dem sein Selbstbild eines charmanten James-Bondverschnitts zerspringt und er sich mit dem Fremdbild des sabbernden Lustgreises konfrontiert sieht.
Warum spreche ich das an? Schließlich spielt für meine Analyse Schuld und Unschuld des Entscheiders keine Rolle. Weil es sein Denken beeinflusst. Beim Entscheiden ist der Entscheider die wichtigste Person. Was er über sich selbst denkt, bestimmt wesentlich, welche Handlungsoptionen ihm zur Verfügung stehen.
Ich könnte mir vorstellen, dass dem kurzen Moment der Selbsterkenntnis gleich darauf der Ärger gefolgt ist, jetzt in der Öffentlichkeit bloßgestellt worden zu sein. Brüderle ist schließlich kein Westerwelle. Er ist ein Mann der zweiten Reihe, der gelernt hat, Risiken aus dem Weg zu gehen.
Was soll er jetzt tun?
Wie auch Annette Schavan beherzigt Brüderle die erste Entscheiderregel. Er bewahrt die Ruhe und nimmt sich Zeit zum Nachdenken. Daher wissen wir nicht, wie er über die ganze Sache denkt. Er sagt auch nichts, was er später wieder zurück nehmen müsste.
Die Diskussion schadet seinem Ansehen, ob er sich dazu äußert oder nicht. In die Hände spielt ihm, dass seine »Anklägerin« provokant beim Pressefrühstück auftaucht, als hätten es nie einen Herrenwitz-Artikel gegeben.
Wir neigen in solchen Situationen gerne dazu, uns lang und breit mit der Situation zu beschäftigen. Doch das bringt uns nicht weiter. Wo wir heute stehen, ist das Ergebnis unserer vergangenen Entscheidungen. Doch das Gestern können wir nicht ändern. Der Zug ist abgefahren.
Die Zukunft
Viel wichtiger ist die Frage, wo wir hin wollen. Menschen mit 67 Jahren gehören noch nicht zum alten Eisen. Die kommenden Jahre werden das zeigen, wenn wir gezwungenermaßen das Alter für den Renteneintritt auf 70 Jahre erhöhen. Daher können wir getrost annehmen, dass Brüderle noch Lust auf die politischen Bühne hat.
Vermutlich wird er keine Ministerämter mehr bekleiden. Denn eine Kanzlerin Merkel hat sich indirekt bereits dazu geäußert. Sie hält Respekt und Professionalität im Umgang mit den Medien für wichtig. Allerdings ist es ohnehin zweifelhaft, ob die FDP die nächste Regierung stellen wird. Für Parteiämter qualifiziert sich Brüderle weiterhin. Er muss nur diese Affäre halbwegs gut überstehen.
Seine Handlungsalternativen
1. Die Kohl-Strategie. Benannt nach dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, der dafür bekannt war, alle Konflikte einfach auszusitzen und nichts zu lösen. Für Brüderle heißt das: Einfach weiter machen als wäre nichts gewesen. Nur zu dem alle interessierenden Thema wird er sich nicht äußern.
2. Die Diplomatie Strategie: Brüderle gibt sich staatsmännisch und inszeniert den Versöhnungsversuch. Brüderle lädt Frau Himmelreich offiziell zu einem Vier-Augen-Gespräch ein und entschuldigt sich in aller Form bei ihr. Er habe viel daraus gelernt und werde zukünftig besser darauf achten, was er von sich gibt. Am Ende noch ein Shake-Hands für die Kameras und die Sache ist abgehakt. Gegen diese (virtuelle) Umarmung kann sich Frau Himmelreich nicht wehren, ohne ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen.
3. Die Emotionale Strategie. Brüderle könnte sich tief verletzt über den unfairen Angriff zeigen, entschuldigt sich für das eigene Verhalten und stellt Himmelreich an den Prager für den kühl kalkulierten Angriff auf ihn. Seine Trumpfkarte: Sie diskriminiert ältere Mitbürger.
4. Die Schneckenhaus Strategie. Er nimmt weiter keine Stellung zu den Vorwürfen und gibt nur noch ausgewählten (männlichen) Journalisten Interviews. Anders als bei der Kohl Strategie zieht er sich weitestgehend zurück, bleibt aber in Amt und Würden.
5. Die Respekt Strategie. Er spielt die Altersrespekt Karte. Dabei setzt Brüderle vor allen Dingen auf ältere Wähler, die bei jüngeren Menschen den Respekt vor dem Alter vermissen. Bei einer jüngeren Öffentlichkeit könnte er damit allerdings Aversionen hervorrufen. Denn im Grunde heißt, das Frau Himmelreich hätte es nicht besser verdient, weil sie es an Respekt habe fehlen lassen.
Denkbar wäre zwar auch eine Canossa-Strategie. Aber Rainer Brüderle wird nur von einer Teilöffentlichkeit verfolgt. Rücktrittsforderungen der politischen Gegner halten sich in Grenzen. Daher sind die ganz großen Gesten fehl am Platz.
Brüderle ist kein Machtpolitiker. Seine jetzige Spitzenstellung verdankt er dem Umstand, dass sich die erste Garde der FDP innerhalb der Koalition mit der CDU aufgerieben hat. Sie muss in der Versenkung neue Kraft schöpfen und den Mantel des Vergessens über ihr politisches Versagen breiten. Als Mann der zweiten Garte wird Brüderle von keinem Lazarus-Phänomen profitieren. Denn inzwischen würden Politiker wie Guido Westerwelle wieder an die Parteispitze zurückkehren.
Wohin führen ihn seine Alternativen?
Brüderles kann entweder passiv reagieren oder aktiv mit den Anschuldigungen umgehen. Das sind die beiden Grundhandlungsmuster. Bleibt er im passiven Arm seines Entscheidungsbaumes wird die Presse wahrscheinlich bei jedem Interview auf die Herrenwitz-Affäre zu sprechen kommen. Brüderle wird stoisch dazu schweigen. So schafft er kein positives Bild von sich.
Die aktiven Handlungsoptionen sind vielversprechender. Sie sind allerdings auch riskant. Trotzdem sehe ich für die Diplomatie Strategie einen langfristig positiven Ausgang. Selbst wenn man ihm die Reue heute nicht abnimmt. In zwei oder drei Jahren wird jeder sagen, dass er die Affäre abgehakt hat. Viele Fragen wird es dazu nicht geben. Im Falle der anderen Strategien bleibt es auch in Zukunft interessant, Fragen zu stellen. Daher wird jeder Journalist das auch regelmäßig tun.
Eigentlich ist Rainer Brüderles Handlungsraum ziemlich langweilig. Dabei bietet die heutige Zeit so viele andere Möglichkeiten. Zum Beispiel könnte er bei RTL einen einmaligen Livetalk “Brüderle angeklagt” mit so wortreichen Gegnern, wie Alice Schwarzer, Jutta von Ditfurth und Renate Künast produzieren. Er könnte eine eigene Social Media Kampagne über Facebook starten und so weiter.
Welche Nicht-Brüderle-Handlungsoptionen fallen Dir ein?
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!