Konsumfest der Südafrikaner
Die Südafrikaner, die ich seit meiner Hochzeit vor 12 Jahren kennen gelernt habe, sprühten vor Lebensfreude. Das mag allerdings auch daran liegen, dass ich vor allen Dingen mit Capetonians zu tun hatte. Also den Bewohnern Kapstadts.
Essen ist für den durchschnittlichen Südafrikaner eine Lebenseinstellung. Daher geht man dort auch liebend gerne Essen. Die Mischung ist eklektisch. Vom indischen Curry über Französische Küche und holländische Hausmannskost bis zu englischen Fish and Chips ist alles vertreten.
Für den ganz Konservativen gibt es natürlich auch deutsche und italienische Restaurants. Für den Experimentellen sogar Sushi.
Die andere Seite der Gesellschaft
All das gilt hauptsächlich für die schmale Mittelschicht Südafrikas. Wer in einer Wellblechhütte lebt, kommt in die Restaurants erst gar nicht rein (right of admittance reserved) geschweige denn, dass er sich das Essen dort leisten könnte.
Aber Armut hat viele Gesichter. So gibt es selbst dort Klassenunterschiede. Naturgemäß leben die Ärmsten in so einer “Shanty” aus Wellblech.
Obdachlos dank Vetternwirtschaft und Korruption
Eines der Ziele der ANC-Regierung war es innerhalb von 10 Jahren 5 Millionen bescheidene, aber stabile Steinhäuser bauen zu lassen. Viel Geld wurde ausgegeben und ca. 200.000 davon sind bis heute gebaut. Leider nicht ganz in der erhofften Qualität. So haben korrupte Beamte selbst Baufirmen in die Welt gesetzt, die mit billigsten Materialien und ungelernten Arbeitern einen Großteil dieser Häuser errichteten. Mit dem Ergebnis, dass viele Häuser bereits nach 6 Monaten in sich zusammenstürzten und ihre Bewohner unter sich begruben.
Derzeit gibt es eine Untersuchungskommission, die klären soll, wie viele Häuser wieder abgerissen werden müssen und wer dafür verantwortlich ist.
Der erste Schritt in den Konsum
Wer ein Steinhaus bewohnt, gehört zu den Südafrikanern, die zumindest teilweise an der Zivilisation teilnehmen. Sie haben Strom und fließend Wasser und meistens auch eine fest bezahlte Arbeit. Um dieses Haus können wir die weiteren Schichten der Gesellschaft aufbauen. Ein wichtiger Indikator ist dabei sein Standort.
Steht das Haus in einem Township wie Kayelitsha, dann leben seine Bewohnter unter schwierigen Bedingungen. Denn obwohl Armut nicht kriminell macht, begünstigt sie doch Milieus, wie Gangs, die ihre Nachbarschaft terrorisieren, erpressen und ausrauben.
Vergewaltigungen an der Tagesordnung
Frauen in diesen Gegenden müssen in Südafrika nichts so sehr fürchten, wie vergewaltigt zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies irgendwann passieren wird, liegt angeblich bei ca. 40 Prozent. In den Zeitungen und im Fernsehen laufen daher Kampagnen, um das Bild der Frau zu stärken, und damit die Vergewaltigungen zu reduzieren. Als wäre das nicht schon schlimm genug, grassiert in Südafrika AIDS wie in kaum einem anderen Land.
Full House
In dem kleinen Haus in der schlechten Gegend leben oft viele Generationen unter einem Dach. Anders lassen sich die Kosten für Strom und Wasser nicht bezahlen. Der Mittelpunkt des Hauses ist ein kleines Wohnzimmer mit vielleicht 14 qm. Das ist der Lebensbereich der Granny (Großmutter) sie schläft dort auch.
Viel wichtiger jedoch: Der Fernseher. Er hat in Südafrika eine besondere Bedeutung, doch dazu in einem späteren Artikel mehr. Es gibt dann noch ein oder zwei Schlafzimmer, die sich der Rest der Familie teilen muss. Oft sind das die Eltern, mittellose Onkel und Tanten und die Kinder (4 – 5). Sind die Kinder schon im Teenager-Alter, haben sie ab 15 Jahren oft auch schon ein Kind. Kommt es ganz dick, leben auch noch die Urgroßeltern.
Ohne Schulabschluss
Ich könnte mir vorstellen, dass es bei so vielen Bewohnern auf so kleinem Raum schlichtweg unmöglich ist, alles sauber zu halten. Alkoholismus ist weit verbreitet. Für die Kinder ist es schlichtweg unmöglich, nach der Schule dort ihre Hausaufgaben zu erledigen. Lediglich 20 Prozent von ihnen besuchen die Schule bis zum Abschluss.
Wer es sich leisten kann, hat daher sein eigenes Haus für die Kernfamilie. Die Gegend bestimmt dann, wie es weiter geht. Denn natürlich sind solche kleinen Familien ein besseres Ziel für die Gangster der Nachbarschaft. Schließlich haben sie etwas mehr Geld.
Nachbarschaftshilfe gegen Staatsversagen
Ständige Drangsalierungen sind an der Tagesordnung. Bis vor ein paar Jahren traute sich die Polizei nicht, Notrufen in der Nacht in solchen Gegenden nachzugehen.
Zum Glück hat sich das gewandelt. Auch deshalb, weil sich in vielen Vierteln Nachbarschaftshilfen gebildet haben, die nachts durch die Straßen patrollieren.
Wie gut eine Gegend ist, hängt daher von der Kriminal-Statistik ab. Die Unterschiede sind teilweise profund und teilweise nur graduell.
Meine Schwiegereltern leben zum Beispiel in Mitchells Plain, eine Gegend von Kapstadt mit ca. 1 Mio Einwohnern.
Meine eigene Erfahrung
Als ich 1997 vor meiner ersten Reise dorthin mit einem Südafrika-Kenner sprach, machte der erst einmal ein sehr sorgenvolles Gesicht und meinte mit schwerer Stimme: “Das ist nicht die beste Gegend”. Gemeint war: Dort leben keine Weiße. Das Stimmt, aber unerwünscht sind sie auch nicht.
Mitchells Plain hat schlimme Gegenden und natürlich gute. In all den Jahren seither ist mir dort noch nie etwas passiert, obwohl ich bei Besuchen in etwas schlimmeren Gegenden doch etwas geschwitzt habe. Eine Cousine meiner Schwiegermutter hat in Heideveld zum Beispiel ihren Sohn bei einer Schießerei verloren.
Kein eitel Sonnenschein in teuren Gegenden
Allerdings ist Gewalt nicht nur auf die Gegenden beschränkt, denen man das ansieht. Selbst die schicken In-Gegenden wie Somerset West werden von Kriminellen heimgesucht.
Doch das kennen wir auch in anderen Ländern. Naturgemäß ist in guten Gegenden am meisten zu erbeuten. Also nehmen Kriminelle auch schon einmal die Mühe auf sich, die dreißig Kilometer zu fahren, um dort eine nichtsahnende Familie zu überfallen.
Das ist ein Risiko, mit dem jeder Südafrikaner lebt. Denn Ungleichheit schafft Begierde. Einige wenige Menschen nehmen sich dann einfach, was sie gerne hätten.
Armut schützt nicht vor Konsumzwang
Es gibt allerdings auch den legalen Weg, zu schönen Dingen zu kommen. Gab es vor 12 Jahren noch die sog. “Lay-byes” sind es heute Ratenzahlungsverträge.
Der Lay-bye ist eigentlich eine sehr intelligente Art, Waren zu verkaufen. Denn der Käufer leistet zunächst eine Anzahlung. Dafür legt der Verkäufer die Ware zurück. In den Folgemonaten zahlt der Käufer die Ware dann sukzessive ab und erhält sie am Ende.
Sofort ist besser als später
Lay-bye gab es für beinahe alle denkbaren Konsumartikel. Elektro-Geräte, Kleidungsstücke, Schuhe und Vieles mehr. Das Schöne daran: Der Käufer verschuldet sich nicht. Der Verkäufer hingegen bekommt einen zinslosen Kredit eingeräumt. Das ging solange gut, bis findige Geschäftsleute darauf kamen, dass ihre Kunden die Ware lieber gleich hätten.
So haben sich also Ratenzahlungsverträge durchgesetzt. Lediglich eine Kette (Ackermanns) bietet heute noch Lay-bye an.
Zwei Jahre Abzahlung für den Status
Für “normale” Kleidung braucht man in Süd-Afrika die Ratenzahlung nicht so sehr. Selbst teure Geschäfte wie Woolworths (steht in keiner Beziehung zum insolventen Discounter in Deutschland) bieten ein Preisniveau wie etwa H&M. Nein, es sind die Marken, wie Lacoste und Addidas für die sich die Menschen um Kopf und Kragen verschulden.
Sie sehen diese Marken im Fernsehen und glauben dadurch Status kaufen zu können. Im Gegenzug sind sie bereit, einen Pullover schon einmal über zwei Jahre abzuzahlen. 😯
Überschuldung grassiert mehr als in anderen Ländern
Es ist daher kein Wunder, dass viele Südafrikaner total überschuldet sind. Eine Profession, die daher derzeit massiv gefördert wird, sind die “debt consultants”. Peter Zwegat gibt es also auch in Afrika.
Das große Geschäft mit der Armut
Wie sehr sich das Geschäft mit den Armen lohnt, kann man am Verhalten der Handelskonzerne ablesen. Als ich 2004 in Kapstadt war, wurde gerade eine neue prächtige Mall (Liberty Promenade) in einer relativ armen Gegend eröffnet. Die PR-Geschichte dabei: Die ärmeren Südafrikaner haben ja keine Autos. Daher müssen sie immer viel Geld ausgeben, um allein zu einer anständigen Mall zu gelangen. Jetzt kommt die Mall zu den Menschen und tut ihnen damit etwas Gutes.
Ich habe mir die Mall damals bei der Eröffnung angesehen und staunte nicht schlecht. Denn dort war nicht etwas nur Mr. Prize (ein Discounter) vertreten, sondern alle Geschäfte, die Rang und Namen haben.
Vor zwei Wochen erfuhr ich, dass diese Mall jetzt noch einmal erweitert wird und damit vermutlich zu den größten Malls in Kapstadt aufschließen wird.
Der Betriebswirt weiß warum. Ist der Kunde immobil und kann nicht vergleichen, tendieren die Preise steil nach oben. Daher zahlen der Käufer in der Liberty Promenade höchstwahrscheinlich mehr für seine Sachen als der Kunde in der Somerset West Mall.
Wenn Sie Kapstadt besuchen, sollten Sie aber lieber Canal Walk in Century City oder Tiger Valley und natürlich die Water Front aufsuchen. 🙂
In dieser Woche lesen Sie im Entscheiderblog eine Serie über Südafrika. Der Autor ist mit einer Südafrikanerin verheiratet und taucht immer mal wieder in das dortige Familienleben ein. Er ist damit kein Experte. Seine Beobachtungen geben nicht das Gesamtbild wieder.
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