Samstagsgedanke: Nachrichten braucht kein Mensch
Manchmal schaue ich einem seltenen Moment der Selbstdistanz auf mich selbst. Was ich sehe, gefällt mir nicht immer. Zum Beispiel lese zu viele Nachrichten. Vor Jahren habe ich mich einfach dafür interessiert, was in der Welt passiert. Doch heute beschäftige ich mich mit dem letzten Blickwinkel, den ein bedeutungsloser Journalist aus seinem verschwitzen Büro darauf wirft, um seinen Lebensunterhalt zu rechtfertigen.
Welchen Nutzen habe ich davon? Keinen! Im Gegenteil: Zum Beispiel „wundere“ ich mich, wer all den Schreiberlingen gesagt hat, dass sie plötzlich Ahnung von Volkswirtschaft hätten. Linke Ideologie und Ökonomie haben sich noch nie miteinander verstanden, selbst wenn der Idealismus noch so groß ist. Aber ich drifte ab.
Warum mache ich etwas, was mir nichts bringt? Wie bei allen Dingen kommt es auf das richtige Maß an. Anfangs reichte es mir, meine Neugierde zu befriedigen. Doch was ist, wenn die Neugierde befriedigt ist? Dann sollten die Nachrichten uninteressant sein. Doch jetzt wird es ungesund. Denn das gute Gefühl, informiert zu sein, muss sich doch verstärken lassen, oder? Also lese ich noch mehr über die Griechenlandkrise oder über die Entwicklungen in der Ukraine. Dabei weiß ich doch schon das Wesentliche. Egal! Jetzt weiß ich mehr. Aber ich werde nicht belohnt. Es fühlt sich nicht besser an. Stattdessen beschleicht mich das ungute Gefühl, meine Zeit verschwendet zu haben. Vielleicht brauche ich noch mehr Nachrichten?
Die Macht gut ausgebauter neuronaler Verbindungen
Nachrichten können zu einer Sucht werden. Natürlich zwinge ich mich zu meiner Arbeit. Aber wie das so ist: Sofortgratifikation ist selten. Vieles dient einem großen Ziel in der Zukunft. Zum Beispiel mein neuer Vortrag für das kommende Jahr. Eine geringe Unterbrechung reicht dann, um wieder bei den Nachrichten zu landen, wie wenn ich eine Info aus meinen Vortrag mit Google abgleichen möchte. Ich lande zwangsläufig auf einer Nachrichtenseite. „Nur kurz mal Checken, kann ja nicht schaden.“ Leider doch! Denn eigentlich treffe ich in diesem Moment keine bewusste Entscheidung. Eine starke neuronale Verbindung in meinem Gehirn sorgt dafür. Ich habe sie über die Jahre durch ständige Wiederholung entstehen lassen. Jetzt liefert mir meine Gehirn jedes mal einen guten Grund, warum ich doch schnell zu den Nachrichten abdrifte. „Kann ja nicht schaden!“
Das ist so ähnlich, wie es oft bei Schokolade passiert. Wir sagen uns: „Einmal ist keinmal“. Klingt gut, führt aber in Deutschland zu einem durchschnittlichen Schokoladengenuss von 9,6 Kilogramm Schokolade pro Jahr. „Einmal“ gibt es nicht!
Keine gute Nachricht
Aber zurück zu den Nachrichten. Kann ich sie einige Zeit nicht empfangen, stelle ich später fest, dass mir nichts fehlt. Es gibt auch keinen kalten Entzug. Stattdessen erlebe ich mehr qualitativ hochwertige Zeit. Was sollte also einfacher sein, als einfach keine Nachrichten mehr im Internet zu lesen?
Mein Gehirn sagt mir etwas anderes. Allerdings weiß ich, dass es nur die ständig favorisierte neuronale Verbindung ist, die mir einsagt, dass Nachrichten wichtig für mein Leben seien. Das Problem: Mein Wissen ist bei weitem nicht so überzeugend, wie die Argumentation, die mein Gehirn mir liefert. Auch wenn sie keiner rationalen Überprüfung standhält. So ist das eben. Wir machen uns was vor, sind uns dessen bewusst und fühlen uns damit sogar auch noch wohl.
Absurde Reaktionen
Letzte Woche habe ich meinem Publikum Vanilleeis angeboten. Etwa ein Drittel der Zuschauer hob die Hand und wollte Eis haben. „Aber ich muss sie warnen, wenn sie richtig viel davon essen, werden sie richtig fett! Lassen Sie die Hand oben, wenn Sie trotzdem Eis essen wollen.“
Rational wäre, wenn ein guter Anteil der Hände wieder nach unten ginge. Stattdessen heben sich plötzlich fast 100 Prozent der Hände im Saal! Die meisten grinsen in einem Moment der Selbsterkenntnis übers ganze Gesicht. Was ist hier passiert? Zwei starke neuronale Verbindungen haben hier zusammengearbeitet. Die „Lust“ auf Süßes, der anfangs noch viele widerstanden und der Automatismus, sich nicht bevormunden zu lassen. Dagegen hatte die Vernunft keine Chance.
So werde ich das Problem los
Was kann ich gegen meine Nachrichtensucht tun? Eines jedenfalls hat keine Chance: Es einfach bleiben lassen. Eine Gewohnheit kann nicht durch ein Unterbleiben ausradiert werden. Ich brauche etwas, was ich stattdessen mache. Vorzugsweise sollte es mir zumindest anfangs eine gewissen Sofortgratifikation bieten. Sollte einfach sein!
Mal sehen, was ich finde. Eben gerade entsteht in mir der Gedanke, dass ich das Ganze wohl viel zu dramatisch sehe. Stimmt wahrscheinlich! Oder? 😮
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