Entscheidung auf Messers Schneide
Gestern war ich mit einem Freund einen Kaffee trinken. Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen. Daher gab es viel zu erzählen und die Zeit zog an uns vorbei. Es war warm. »Ich lad Dich auf was Kühles ein. Was möchtest Du gerne haben? Es gibt noch Frappuccino und stilles Wasser.«
Tropf. Tropf. Tropf. Ich wusste, die richtige Antwort, die gesunde Alternative war das Wasser. Aber ich schwankte trotzdem. Schließlich gab ich mir einen Ruck. Du lebst nur einmal! »Ich nehme den Frappuccino!« Kurze Zeit später nuckelte ich an dem zuckersüßen Getränk mit Sahne-Topping.
Wieder zu Hause, schaute ich auf die Uhr. 18:00 Uhr! Das Wetter war zwar schön, aber es wartete noch Arbeit auf mich. Tropf. Tropf. Tropf. Ich kannte die richtige Antwort. Meine Arbeit würde auch in einer Stunde noch auf mich warten. Aber das Wetter und meine Gesundheit konnten nicht warten. Also schlüpfte ich in meine Jogging-Sachen und lief noch eine Runde.
Farbe beim Trocknen zusehen
Zwei Entscheidungen, die eigentlich nicht wichtig sind. Wird es am Ende meines Lebens eine Rolle gespielt haben, ob ich am 29.08.2012 einen Frappuccino statt eines Wassers getrunken habe? Ich denke nicht. Wird es am Ende meines Lebens eine Rolle gespielt haben, ob ich am 29.08.2012 joggen war, anstatt am Schreibtisch zu sitzen? Vermutlich nicht.
Tröpfchen-Entscheidungen
Solche kleinen Entscheidungen haben minimale Auswirkungen. Ich nenne Sie daher auch Tröpfchen-Entscheidungen. Welche andere Macht haben da unsere großen Entscheidungen, wie zum Beispiel meine strategische Positionierung oder meine damalige Entscheidung für die Selbständigkeit? So jedenfalls denken wir uns das.
Die Masse macht’s
Tatsächlich ist ein einzelner Tropfen irrelevant für das Ganze. Aber ein Regenguss besteht auch nur aus Tropfen. Ein Fluss besteht aus vielen Regengüssen und ein Ozean aus vielen Zu-Flüssen.
Der Entscheidungs-Regen ist unvermeidlich. Jeden Tag treffen wir rund 20.000 Entscheidungen. Die Frage ist nur, welche Felder bewäs-sern wir damit?
Es mag sein, dass unsere Richtungsentscheidungen eine große Bedeu-tung haben. Aber sie bestimmen nur wenig, ob wir glücklich und erfolgreich sind.
Balance-Akt
Denn das passiert im Rahmen unserer Tröpfchen-Entscheidungen. Bei vielen dieser kleinen Entscheidungen sind wir ambivalent. Wir könnten uns sowohl für das eine, wie das andere entscheiden. In diesem Moment steht viel auf dem Spiel, ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst sind. Unsere Ambivalenz ist des Messers Schneide, auf dem wir unser Leben balancieren.
Denn jede Entscheidung verändert das Gleichgewicht. Wenn wir uns für den Frappuccino entscheiden, dann nehmen wir uns vor, dass es eine einmalige Sache bleiben wird. Aber angenommen, es wäre das Leckerste, was wir seit langem über unsere Geschmacksknospen haben gleiten lassen? In dem Fall springt unser Belohnungszentrum an.
Konditionierung und Training
So etwas Leckeres brauchen wir wieder! Beim nächsten Mal müssen wir nicht ganz so lange nachdenken. Und beim darauffolgenden Mal passiert die Entscheidung kaum unsere Wahrnehmungsschwelle. Wir haben plötzlich den Becher mit dem Eisgetränk in der Hand, ohne dass wir nochmals mit unserem Dilemma konfrontiert waren. Stilles Wasser lässt unser Belohnungszentrum dagegen ziemlich kalt.
Beim Sport ist es noch klarer. Wer selten Sport treibt, wird sich auch selten aufraffen können, Sport zu treiben. Das ist schließlich anstren-gend. Trainieren wir dagegen regelmäßig, freut sich der Körper schon auf den Wohlfühlcocktail an Hormonen, der dabei freigesetzt wird.
Des Teufels Wasseruhr
Bei allen diesen Entscheidungen läuft im Hintergrund die Wasseruhr des Machsals. Wir sorgen selbst für unseren Erfolg und unser Glück. Aber wir nennen es Schicksal, als wäre uns diese Kombination aus Glück und Erfolg von einer übergeordneten Macht geschickt worden.
Die Wasseruhr bleibt niemals stehen.
Und während wir noch darüber nachdenken, ob wir mit unserem Leben zufrieden sind, hören wir im Hintergrund das ständige: Tropf. Tropf. Tropf.
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