Denken ist Internetsache

LemmingeDas Internet hat vieles in unserem Leben leichter ge­macht. Was nicht dazu gehört, ist das Thema Klarheit.

Ich gehöre noch zu den Menschen, die ohne Internet aufgewachsen sind. Damals riefen wir bei der Bahn an, wenn wir wissen wollten, wann der nächste Zug nach Hamburg fährt. Wer Geld überweisen musste, ging in die Bank und wer seine Uhr stellen wollte, rief die Zeitansage an. Wenn ich wissen wollte, wer Richard III. von England war, dann konnte ich allerhöchstens in eine Bibliothek gehen und dort nach einem Buch über englische Geschichte fragen.

www – wirklich wunderbare welt

Heute macht das world wide web den größten Teil des menschlichen Wissens für uns verfügbar. Heute buchen wir gleich am Bildschirm unsere Bahntickets und drucken sie uns aus. Viele von uns haben ihre Bank bei der Kontoeröffnung das letzte Mal von innen gesehen. Und Wikipedia beantwortet fast jede Frage zur Geschichte, die ich noch nie gestellt habe.

Lösungen für alles

Das Gleiche gilt für Problemlösungen. Bei 2,2 Milliarden Menschen, die im Internet vertreten sind, hat mindestens einer schon das gleiche Problem gehabt, wie wir. Kein Problem ist zu ungewöhnlich, keine Lösung zu unmoralisch, um nicht im Web gefunden zu werden.

Zum Beispiel finden Nachwuchsterroristen den Bombenbau für Dummies und Amokläufer Vorschläge für die richtigen Waffen, mitsamt Tipps, wie die illegalen Ausrüstungsgegenstände beschafft werden können. Einen Anders Behring Breivik hätte es ohne das Internet wohl nicht gegeben.

Denken pfui  – kaufen hui

Uns Normalen erspart das Internet dagegen das tägliche Kopf­zer­bre­chen. Meistens suchen wir nicht lange nach der richtigen Lösung, sondern nur noch nach einer Quelle, wo wir sie kaufen können.

So bequem das sein mag, so arm macht es uns auch. Denn die neueren Teile unseres Gehirns haben sich ursprünglich entwickelt, damit wir Probleme lösen.

Wenn uns das world wide web dagegen mal wieder eine Lösung ausspuckt, ist das wie ein Lehrer, der einem dauernd die Antworten zu seinen Fragen vorsagt.

Konsumopfer

Wir verlernen, uns in Probleme hineinzudenken. Wir verlernen unseren eigenen Bedarf zu benennen. Stattdessen entsteht in uns eine Haltung, die schon für Kinder nicht gut ist: Ich will das Gleiche, wie der da! Warum? Weil halt!

Ich könnte vermutlich zu einem X-beliebigen Menschen auf der Straße gehen und ihn ansprechen: »Wissen Sie, was Ihr Problem ist? Sie wissen nicht, was Sie wollen!« Bei 85 Prozent der Menschen läge ich damit richtig!

Zeit für Wesentliches

Zugegeben, das war auch schon vor dem Internetzeitalter ein Problem. Bleibt zu klären, ob es heute nicht schlimmer geworden ist.

Wer übrigens im Internet recherchiert, kann nach dem ersten Fund einer halbwegs praktikablen Alternative aufhören. Denn wir bevorzugen immer die erstbeste Lösung.

Vielleicht nutzen wir die eingesparte Zeit ja einmal  dafür, uns darüber klar zu werden, wie oft wir nicht wissen, was wirklich wollen.

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