Erwartungen
»Ich liebe Erwartungen. Das macht mein Leben einfacher!“ Als ich diese gewagte These das erste Mal von einem extrem entspannten Unternehmer hörte, war ich erst einmal überrascht. Genauer dachte ich, »wie ein Spinner sieht der gar nicht aus. Aber irgendeinen Knax muss er haben …«
Bevor ich nachfragen konnte, fuhr »Herr Tiefenentspannt« fort. »Sind die Erwartungen erfüllbar, weiß ich genau, was ich tun kann, um alle glücklich zu machen. Sind sie nicht erfüllbar, versuche ich es gar nicht erst.«
Es war einer solcher Momente, in denen es sich gelohnt hätte, bis zum Ende zuzuhören und sich erst dann sein Urteil zu bilden. Die Einstellung des Mannes ist genau richtig.
Das Netz der Erwartungen
Jede Erwartung verändert unseren Gestaltungsspielraum für Entscheidungen. Gibt es zu viele Erwartungen, wird der Entscheidungsprozess zum Rätsellösen.
Erwartungen haben für mich eine zweischneidige Bedeutung. Auf der einen Seite können sie uns zu Höchstleistungen anspornen. Wir lassen uns davon motivieren. Auf der anderen Seite gibt es oft so viele davon, dass so mancher nichts mehr entscheiden mag, weil er immer jemanden enttäuschen muss. Wir sitzen dann in der Erwartungsfalle. Denn auch wenn wir nichts tun, sind am Ende wieder einige Menschen enttäuscht.
Genau aus diesem Grund gefällt mir die Einstellung von Herrn Tiefenentspannt. Er nutzt einen positiven Aspekt der Erwartungen und lässt sich gleichzeitig auf keine unmöglichen Anforderungen ein.
Ein Teil des Problems ist die Vielzahl unterschiedlicher Personen, die berechtigt oder unberechtigt Erwartungen an uns haben.
Das fängt bei uns selbst an und hört mit Menschen auf, die wir gar nicht kennen. Ich habe zum Beispiel oft die unerfüllbare Erwartung an mich, keine Fehler zu machen. Gerade als Vortragsredner ist diese Erwartung wie der Wunsch, mit einer Dornenkrone durch die Straßen laufen zu wollen. Es wird immer schmerzhaft enden. Für die Schmerzen sorge ich selbst, wenn ich mich mal wieder ans Kreuz meiner Selbstkritik schlage.
Aber bei den eigenen Erwartungen bleibt es ja nicht. Manch einer möchte noch die Vorstellungen seiner Eltern erfüllen und natürlich sind auch gesellschaftliche Konventionen nichts anderes als Erwartungen an unser Wohlverhalten.
Erwarte das Richtige
Dabei gibt es viele Personen, deren Erwartungen vollkommen berechtigt sind. Denken wir nur an Kunden, Kollegen, Mitarbeiter, Vorgesetzte oder der eigene Lebenspartner. Für sich allein ist Vieles machbar. Doch wenn wir allen Erwartungen gerecht werden wollen, stehen wir vor einem Gordischen Knoten. Letzterer ist ja sogar Sinnbild für eine nicht erfüllte Erwartung. Alexander der Große wollte nicht stundenlang an einem unentwirrbaren Knäuel sitzen, um einen Knoten zu öffnen. Stattdessen zerteilte er das Ding mit seinem Schwert. Da freute sich der Knotenknüpfer, ganz bestimmt!
Glauben wir Herrn Tiefenentspannt, dann sollten wir das Positive an Erwartungen für uns nutzen und den Rest vergessen. Das klingt nach einem guten Plan!
Aber können wir das wirklich tun?
Was will ich eigentlich? Das ist die Frage, die wir uns bei unseren Entscheidungen immer wieder fragen. Unsere Erwartungen sind Teil dieser Frage. Denn sie bestimmen die Qualität des Gewünschten. Heißt die Antwort zum Beispiel, dass wir einen Teller Spaghetti essen wollen, dann denken wir uns vielleicht, »mit viel Soße und al dente«. Fallen die Nudeln dann eher wie Miracoli aus, könnten wir enttäuscht sein, weil eine Spaghettisoße nicht nach Ketchup schmecken sollte. Haben Sie es gemerkt? Wir sind enttäuscht, obwohl wir gar nicht über den Geschmack der Soße nachgedacht hatten. Manche Erwartungen werden nicht einmal ausgesprochen, weil sie »selbstverständlich« sind.
Denken Sie einmal kurz darüber nach. Ist Ihnen das möglicherweise auch schon passiert? Sie haben jemanden enttäuscht, weil er seine Erwartungen für allzu selbstverständlich hielt?
Den umgekehrten Fall gibt es genauso. Als ich vor über zehn Jahren zu Beginn meiner Selbständigkeit eine Förderung beantragte gab ich mir mit meinem Geschäftsplan sehr viel Mühe. Mein damaliger Steuerberater warf einen Blick darauf und meinte nur trocken: »So etwas haben die garantiert noch nie gesehen! Du hast bestimmt zehn Mal soviel Arbeit da hineingesteckt, wie nötig gewesen wäre.«
Mein Vater hatte dafür einen schönen Begriff: »Mitarbeiterblindleistung«. Also etwas, was nett gemeint ist, aber keinen Mehrwert oder Nutzen bringt.
Das Wunder der Kommunikation
Bevor wir also unsere Entscheidungen treffen, sollten wir uns Gedanken darüber machen, wer etwas von uns erwarten darf und jeweils fragen: »Können Sie mir kurz sagen, was Sie von mir erwarten?« Das klingt vernünftig, ist aber nur die halbe Miete. Denn wie leicht könnten wir uns missverstehen? Deshalb stellen wir die jetzt die Frage, auf die es ankommt: »Warum? Wie passt das in den Gesamtkontext ihrer Ziele?«
Sollten Sie in einer staatlichen Kommandoorganisation, wie der Polizei oder Bundeswehr arbeiten, könnte die Frage nach dem Warum nicht so gut aufgenommen werden. Ansonsten erfahren wir alles, was wir wissen müssen. Auch die unausgesprochenen Erwartungen kommen dabei an die Oberfläche.
Auch nach diesen beiden Fragen gibt es natürlich noch Missverständnisse. Kommunikationsprofis nicken daher nicht nur, sie spiegeln das Verstandene noch einmal zurück: »Ich nehmen für mich mit, Sie erwarten von mir Folgendes … und ich unterstütze Sie damit, folgende Ziele zu erreichen …«
Nickt der andere, sind wir fein raus. Denn selbst wenn es dann zu Missverständnissen kommt, hätten Sie kaum mehr machen können, um sie im Vorfeld auszuräumen.
Eine Garantie mit Pferdefuß
Erwartungen haben eine eingebaute Unzufriedenheitsgarantie. Selbst wenn wir im Vorfeld gut gearbeitet haben, wird es Enttäuschungen geben. Das liegt in der Natur der Dinge. Gott hat Humor, daher sind es in 90 Prozent der Fälle meine Erwartungen, die ich enttäusche.
Anhänger des positiven Denkens finden das gut. Wenn wir enttäuscht werden, haben wir uns zuvor selbst getäuscht, oder? Die Enttäuschung macht uns also schlauer. Genau solch ein Bla bla möchtest Du natürlich hören, wenn es gerade einmal wieder soweit ist. Wobei an der Idee etwas dran ist.
Angenommen wir hatten realistische Erwartungen. Dann muss es einen Grund geben, warum wir sie nicht erfüllt haben. Für mich ist es wichtiger, wie ich es beim nächsten Mal besser machen kann, als mein Hirn bei der Rosawattefraktion der Motivationsgesellen abzugeben. Ich bin schon ein großer Junge und kann mit Enttäuschungen umgehen. Ich werfe weder mein Rosenthal-Geschirr an die Wand, noch saufe ich mir hinterm Tresen die Hucke voll.
Meine Erwartungen heißen natürlich nicht so. Stattdessen nenne ich sie »Ansprüche«. Es klingt auch viel besser, »anspruchsvoll« zu sein, als »übertriebene Erwartungen« zu haben. Damit bin ich nicht allein. Ich liebe es immer, wenn ein Mitarbeiter von seinem »anspruchsvollen Chef« spricht. Was unter Betschwestern nichts anderes heißt als, »der Typ hat eine Schraube locker. Aber das werden Sie früh genug herausfinden!«
Die Liste
Doch zurück zum Thema. Ansprüche sind nichts Schlechtes, Sie sorgen oft für die richtige Qualität der Ergebnisse.
Der eigentliche Kniff kommt jetzt. Angenommen wir haben ein klares Bild davon, wie unsere Zukunft für uns aussehen soll. Dann wissen wir sehr wohl einzuschätzen, welche Resultate wir haben wollen. Alle Erwartungen, die uns dabei unterstützen oder motivieren, erfüllen wir gerne. Alle Erwartungen, die uns dagegen wie ein hektisches Duracell-Häschen durch die Gegend hüpfen lassen, können wir getrost ignorieren. Wir müssen es nicht jedem recht machen. Außer natürlich, Sie sind tatsächlich ein Duracell-Häschen und brauchen das unbedingt. Dann fangen Sie einfach schon einmal mit dem Hüpfen an!
Unser tiefenentspannter Unternehmer vom Anfang könnte seine Haltung also noch verändern, indem er Erwartungen nicht zum Selbstzweck macht, sondern als »Motivationshilfe« betrachtet, um seine Ziele leichter und besser zu erreichen.
Vielleicht probieren Sie es bei Ihrer nächsten Entscheidung aus? Machen Sie eine Liste mit allen Erwartungen. Alle guten, unterstützenden Erwartungen schreiben Sie auf die Linke Seite und alle unnötigen …. lassen Sie einfach weg. In dem Sinne, wünsche ich Ihnen eine anspruchsvolle Zeit!
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