Zwischen nackten Griechen und Friseuren

clip_image001Wahrscheinlich lesen Sie derzeit viel über den Euro und sein mögliches Schicksal. Manche se­hen das Ganze eher ökonomisch, an­dere eher politisch.

Große Währungsräume werden immer Probleme haben. Das wusste man auch schon lange vor der Einführung des Euro. So gibt es ja auch in den USA große regionale Unterschiede in der Wirtschaftskraft.

Als wir noch die D-Mark hatten und die Griechen ihre Drachme, haben sich die Unterschiede zwischen den beiden Ländern in ihrem Wäh­rungsverhältnis niedergeschlagen. Um es auf den Punkt zu bringen, Urlaub in Griechenland war billig, weil der Wechselkurs günstig war.

Die schützende Hand

Unter dem Schutz des flexiblen Wechselkurses blieben Arbeitsplätze erhalten, selbst wenn ihre Produktivität mit der unseren nicht mithal­ten konnte.

Der Verschuldung des Griechischen Staates waren natürliche Gren­zen gesetzt. Da die Drachme ein Zuviel an Geldschöpfung mit einem Absturz quittierte und die Zinsen unbezahlbar wurden. Das Gleiche galt für alle anderen Euro­länder.

Die geballte Faust

Die Amerikaner hatten schon früh ihren gesamten Wirtschaftsraum mit einer gemeinsamen Währung verbunden. Wenn also Kalifornien eine höhere Produktivität hatte als z.B. Montana musste die Wirt­schaft einen anderen Weg nutzen, um diese Ungleichgewichte zu stemmen.

Die Lösung: alle nicht konkurrenzfähigen Arbeitsplätze in Montana gin­gen verloren. Für uns klingt das nicht nach einer Lösung, sondern nach einem Desaster. Denn Arbeitslose sind ja auch eine Art von Un­gleichgewicht.

Hochflexibel

Daher hat Amerika einen weiteren Anpassungsmechanismus: Die Fle­xibilität seiner Arbeitskräfte. Verliert ein Amerikaner seinen Job in Montana, zieht er nach Kalifornien, um dort eine neue Arbeit anzu­nehmen. Verliert ein Manager seine gutdotierte Position, wird er auch eine Zeit lang bei Walmart an der Kasse sitzen, bis sich etwas Besse­res für ihn ergibt.

Gut gemeint

Der Wegfall der Wechselkurse zwischen den Europäischen Staaten be­dingte also mehr Flexibilität von seinen Arbeitnehmern. Das wuss­ten natürlich auch die damaligen Politiker. Daher haben wir heute im Prinzip auch die Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit. In der Pra­xis gibt es nationale Eigenheiten, die es für den Einzelnen schwer macht, regional flexibel zu sein.

Schlecht gemacht

Trotz Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit, werden unsere Ab­schlüsse nicht überall gleichermaßen anerkannt. Zum Beispiel macht ein Deutscher Heilpraktiker der Psychotherapie sich in Österreich straf­bar, wenn er dort Patienten behandelt. Das ist Medizinern vorbehal­ten.

Mir war das bis vor Kurzem auch nicht bekannt, bis eine befreundete Heilpraktikerin nach Österreich umziehen wollte und deshalb noch ein­mal ein Psychologiestudium anfing.

Ein anderes Mittel, die Ungleichgewichte zwischen den Ländern auszu­gleichen sind gewaltige Strukturausgleichsfonds. Brüssel bekommt von den reicheren Ländern Geld zur Verfügung gestellt, um es ärmeren Regionen zur Verfügung zu stellen. Davon profitierten auch die sog. fünf neuen Bundesländer.

Allerdings bewirken solche Subventionen selten eine stabile Wirt­schaftsstruktur, weil die Unternehmen sich dann nicht an ihren Märk­ten, sondern an den Subventionsbedingungen orientieren.

Lange bekannt und blauäugig

Das alles war auch schon damals vor Einführung des Euro bekannt.

Ich saß damals in einer Veranstaltung von Prof. Peter Bofinger, der ein glühender Verfechter der Europäischen Währungsunion war. Er fragte damals: »Warum sollten die Italiener falsche Angaben machen und warum sollten sie sich mehr verschulden, als es die Regeln zulas­sen? Was hätten sie davon? … Die No-Bail-Out-Klausel wird alle Teil­nehmer der Währungsunion zwingen, seriös zu wirtschaften…«

In einer anderen Veranstaltung hörte ich den Euroskeptiker Prof. Norbert Berthold: »… Die No-Bail-Out-Klausel wird aller Wahrscheinlich­keit nach politisch unterlaufen werden …«

Prof. Bofinger argumentierte damals also mit der Hoffnung, dass die Euroteilnehmer von einem Moment auf den nächsten seriös wirtschaf­ten würden, weil die No-Bail-Out-Klausel ein Bollwerk der Stabilität sein sollte.

Die Vernunft der Realpolitik

Politiker wussten damals, genauso wie heute, dass in der Realpolitik derlei Klauseln und Regeln nur dann überdauern, wenn sie dem politi­schen Prozess entzogen werden. Also zum Beispiel Verfassungsrang haben.

Auch eine andere Merkwürdigkeit lässt aufmerken. Der Europrozess ist eine Einbahnstraße. Wer erst einmal Mitglied des Clubs ist, kann relativ ungestraft die große Sause machen.

Und was ist mit den Stabilitätskriterien? In der Tat klingt es hart, wenn ein Land sich zu sehr verschuldet, dass es dafür eine Milliarden­strafe an Brüssel zahlen muss.

Der Preis der Einheit

Doch diese Regel wirkt ohnehin nur bei soliden Ländern wie Deutsch­land und Frankreich. Einem nackten Mann kann man schließlich schlecht in die Taschen greifen.

Wir Deutschen haben diesen weichen Regeln zugestimmt, weil es in­direkt der Preis der Deutschen Einheit war, den Kohl in den Zwei-plus-Vier-Gesprächen zugesagt hatte.

Hätte es damals schon Wikileaks gegeben, würden wir immer noch mittels der Mauer verhindern, dass unsere östlichen Verwandten zu Besuch kommen. :mrgreen: Oder wäre es jetzt anders herum? 😮

Aldi-Preise für Kredite

Für alle Teilnehmer des Euro-Gebiets ergab sich ein schöner Neben­effekt. Egal wie unseriös ein Staat wirtschaftet, der Euro selbst bleibt relativ stabil, solange die großen Länder wie Deutschland und Frankreich nicht über die Stränge schlagen.

Für Geldverleiher ist das praktisch. Denn sie müssen das Währungs­risiko nicht mehr durch hohe Zinsen abfangen.

Zinsen sind der Preis des Geldes.

Seit Aldi wissen wir, dass niedrige Preise zu großer Nachfrage und saftigen Gewinnen führen.

Genau das ist auch passiert. Die PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) konnten sich viel höher verschulden, als es in einem kleineren Währungsgebiet möglich gewesen wäre.

Tricksereien

Damit man sich in Brüssel nicht den Kopf über die Taschen eines nackten Griechen zerbrechen musste, wurden da genauso wie auch in Italien die Zahlen noch ein wenig geschönt.

Das Ende

Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise haben alle Eurostaaten tief in den Topf gegriffen, um die heimische Wirtschaft zu schützen und das Schlimmste zu verhindern.

Damit haben wir das Problem von unseriös wirtschaftenden Banken auf unseriös wirtschaftende Euroländer verschoben.

»Ein Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht!« In der Zukunft sehen alle den nahenden Scherbenhaufen. Die Länder sind überschul­det und die gerade erst geretteten Banken spekulieren mit Wonne gegen ihre Retter. Doch was sollen wir tun?

Die politische Union

Begeisterte feurige Europäer sehen die einzige Chance in einer Weiterentwicklung von Europa zur politischen Union.

Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob wir damit nicht warten, bis wir uns alle als Europäer und nicht mehr als Belgier, Deutsche, Franzosen usw. sehen. Das wäre ein Prozess, der vermutlich noch mindestens ein Jahrhundert dauern würde.

Umgekehrt könnte es schneller gehen, indem wir alle ein echtes Europäisches Parlament wählten und eine Europäische Regierung, die über zumindest über die gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspo­litik entscheidet.

In der derzeitigen Stimmung würde das schwerlich mit Begeisterung aufgenommen werden. Ein FAZ-Redakteur kommentierte vor einem Jahr »… Ich fürchte die Griechen, selbst wenn ich ihnen Geschenke bringe …« Und bringt es damit auf den Punkt. Für diese Lösung fehlt schlichtweg das Vertrauen der Bevölkerung.

Eurobonds – geschüttelt und gequirlt

An anderer Stelle wird darüber diskutiert und verhandelt, gemeinsame Eurobonds aller Staaten aufzulegen. Damit müssten die PIIGS-Staa­ten keine so hohen Zinsen für die Bedienung ihrer Schulden bezahlen.

Aus der PIIGS-Sicht klingt das vernünftig. Aber die soliden Europäer müssten höhere Zinsen zahlen als bisher. Denn der Zins würde das durchschnittliche Risiko aller Eurostaaten abbilden. Für uns Deutsche hieße das allein für den Bund 17 Milliarden Zinslast mehr pro Jahr.

Angeblich würde sich der Finanzmarkt dadurch auch vergrößern, was zu niedrigeren Zinsen führen soll. Doch das ist Augenwischerei. Unsere Finanzmärkte sind ja bereits global, sonst hätte die Finanz- und Wirtschaftskrise, die ja im Immobilienmarkt der USA ihre Ursprung hatte uns nicht so dramatisch erwischt.

Was sollte die PIIGS-Staaten davon abhalten, sich noch mehr zu verschulden, wenn die Zinsen für sie niedrig sind und sie keine Konse­quenzen zu befürchten haben?

Wieder argumentieren Euro-Gläubige, dass die Sünder jetzt ja reuig seien und nicht dieselben Fehler wieder machen würden. Dazu passt wahrscheinlich die Meldung des aktuellen Generalstreiks in Grie­chenland nicht ganz ins Bild. 😮

Die Armageddon-Karte

Wohl wissend, welche Glaubwürdigkeit diese Position hat, drohen viele Eurobefürworter stattdessen mit dem Zusammenbruch der Euro-Zone.

Damit befinden wir uns allerdings im Bereich der Spekulation. Denn die USA stehen weitaus schlechter da. Demnach müsste deren Wäh­rungsgebiet schon vor Jahren kollabiert sein. Ich musste jedenfalls bei meinem letzten US-Aufenthalt noch nicht mit Zigaretten und Kaffee bezahlen, Sie vielleicht? 😉

Auch möglich – Sich an die Regeln halten

Denkbar ist auch, die Regeln der Wirtschafts- und Währungsunion wieder in Kraft zu setzen und dem politischen Prozess zu entziehen. Ländern wie Griechenland würde dann gestattet werden, Pleite zu gehen und einen Haircut zu bekommen. So wird der Prozess ge­nannt, in dem Schuldner und Gläubiger sich darauf einigen, wie viele der Verbindlichkeiten nach einer Insolvenz noch zurückgezahlt werden.

Das würde dem Außenwert des Euro einen Schlag versetzen. Aller­dings machte es die Währung auf lange Sicht auch härter und stabiler. Kurzfristig wirkt ein niedrig notierender Euro wie eine Aufbaukur für die Wettbewerbsfähigkeit der Eurowirtschaften.

Ich persönlich tendiere zu letzterer Position.

Spaß mit den Euroskeptikern

Die Euroskeptiker haben derzeit die Dynamik auf ihrer Seite. Aller­dings fehlt ihrer Position ebenfalls der praktische Beweis. Denn eine so große Währungszone in einzelne nationale Währungen aufzuteilen ist in der Tat beispiellos.

Daher favorisieren viele auch die Idee einer Kernzone eines härteren Euro 2.0. Länder wie Deutschland, Frankreich, Niederlande, Finnland usw. würden eine eigene Währungsunion eingehen. Der billige Rest bliebe dann Euroland 1.0 und würde danach eher eine Rolle bei Entschuldungsabkommen spielen.

Der Nutzen des Euros

Unabhängig von allen diesen Diskussionen scheinen wir Deutschen von der Wirtschafts- und Währungsunion zu profitieren.

Denn da die meisten anderen europäischen Länder keine so positive Entwicklung wie wir hinlegen notiert der Euro niedriger, als es der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands entspricht.

Wir bieten unsere Leistungen also preiswerter an, als wir es mit einer nationalen Währung könnten.

Das ist das gleiche Prinzip, das hinter dem Chinesischen Erfolgsmo­dell steht. Diese haben ihren Yuan an den chronisch schwachen Dollar gekoppelt.

Das führt zu enormen Wachstumsraten, heißt aber auch, dass China seinen Wohlstand in die Welt exportiert, anstatt ihn den eigenen Ar­beitnehmern zugute kommen zu lassen.

Endlich: Solidarisch

In Deutschland sinkt die Arbeitslosigkeit daher immer weiter. Ohne es zu wissen, sind wir endlich alle solidarisch füreinander. Wir verzich­ten auf Wohlstand, damit alle anderen Deutschen auch eine Chance auf Arbeit haben. 🙂 Ob das die Sozis wirklich gut finden?

Aber zurück zum Euro. Ich bin gespannt, wie viel Vernunft den politi­schen Prozess am Ende überlebt haben wird.

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