Ein Urteil mit Folgen
Ein Urteil spaltet die Republik. Laut dem letztinstanzlichen Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg soll die Kassiererin Barbara E. zwei Pfandbons im Wert von Euro 1,30 unterschlagen haben.
Viele regen sich darüber auf. Denn das Urteil gegen die Kassiererin erscheint maßlos hart, angesichts gierig verspekulierter Bankenmilliarden oder der zumwinkelschen Steuerhinterziehung, die nahezu straflos bleiben.
Mit dem Finger zeigen: Der falsche Reflex
Man kann das so sehen. Letztlich müssten es die Aktionäre der Banken sein, die ihre Vorstände zur Rechenschaft ziehen oder dafür sorgen, dass riskante Geschäftsstrategien nicht durch hohe Boni goutiert werden. Das Problem ist hier doch vielmehr, dass der Staat den Dingen nicht ihren natürlichen Lauf lässt. Weil kein Politiker risikieren will, dass viele Tausend Arbeitsplätze verloren gehen, rettet er jede noch so verrottete Bank vor dem Bankrott. 😮 Denn die Kreditklemme würde möglicherweise schlimmere Folgen haben.
Die milde Strafe an Herrn Zumwinkel und anderen Steuerhinterziehern könnte man schon fast als Eingeständnis des Staates verstehen, dass die geforderte Steuer selbst schon ein unanständiges Maß erreicht hat. 😯
Aber natürlich sind diese Gedanken Nebenschauplätze. Denn darum geht es nicht. Unsere Welt mag in vielerlei Hinsicht nicht funktionieren. Zum Beispiel mag es Prominenten gelingen, sich um eine Strafe zu drücken. Das heißt aber doch noch lange nicht, dass damit außer Kraft gesetzt werden muss, was ansonsten richtig ist.
Die Essenz des Rechts
Diebstahl ist Diebstahl, egal wie hoch der Betrag ist. Warum sollte denn jemand plötzlich eine Hemmschwelle entwickeln, wenn es um einen Betrag von 10 Euro, 100 Euro oder 1000 Euro geht, sollte sich die Gelegenheit ergeben?
Meines Erachtens kommt es auf die Summe nicht an. Wenn die Kassiererin die Bons veruntreut hat, dann ist die Strafe meiner Ansicht nacht rechtens.
Schön wäre es dann noch, wenn die Gerichte keine Ausnahmen mehr für „besondere Personen“ des öffentlichen Lebens machten. Denn dann würde das System Ehrlichkeit wieder funktionieren. 🙂
Das eigentliche Problem
Was den Fall der Kassiererin allerdings problematisch macht, ist eine recht lose Indizienkette. Bei einem normalen Bonbetrug arbeiten meist mehrere Mitarbeiter zusammen. Einer stellt die Gutschriften für den anderen aus und ein anderer löst die Bons dann ein. Im Lager steht ja genügend Leergut und Bruch ist an der Tagesordnung. Daher kann ein solcher Betrug eine lange Zeit unbemerkt bleiben.
Kassiererin E. soll zwei Bons eingesackt haben, die wohl ein Kunde verloren hatte. Sicher ist nur, dass sie zwei Bons im eigenen Supermarkt eingelöst hat. Der einlösende Mitarbeiter sagt aus, dass auf den Bons eine Unterschrift fehlte.
Die Kassiererin hingegen sagt das Gegenteil aus, ist sich allerdings nicht hundertprozentig sicher. Wenn es nicht so wäre, kann Sie sich allerdings nicht erklären, wie die Pfandbons in ihren Besitz gelangen konnten.
Mitarbeiter können Pfandbons nur mit einer zusätzlichen Unterschrift einlösen, die bestätigt, dass sie tatsächlich leere Flaschen in den Markt gebracht haben. Bei Barbara E. fehlt diese Untschrift angeblich.
Eine scheinbar klare Sache. Allerdings, scheint Frau E. nicht die beliebteste Mitarbeiterin bei Kaiser’s gewesen zu sein. Denn Sie fiel in Ungnade. Bei einem VERDI-Streik, hatte sie sich offensichtlich als zu eifrig erwiesen.
Platzierte Beweise und falsche Zeugen?
Die Folge: Viele ungeliebte Schichten und ein Marktleiter auf der Suche nach Unregelmäßigkeiten. Letzteres beruht allerdings auf Hörensagen. Damit ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass vielleicht eine Unregelmäßigkeit geschaffen wurde, wo es keine gab. 😡
Letztlich zu klären wird das nie sein. Allerdings wiegen die Aussagen ihrer Kollegen sehr schwer, dass es erstens diese herrenlosen Pfandbons gab und zweitens Frau E. zwei Bons ohne Unterschrift einlösen wollte.
Ich kann daher verstehen, dass ein in dubio pro reo – ein „im Zweifel für den Angeklagten“ dem Gericht schwer gefallen ist.
Fazit
Am Urteil selbst ist nichts auszusetzen. Wer sich bei seinem Arbeitsgeber unrechtmäßig Werte aneignet, hat keine Milde verdient. Allerdings wäre es im Rahmen des Verfahrens gut gewesen, alle Möglichkeiten der Kriminaltechnik zu nutzen.
Denn falsche Verdächtigung ist in so einem Fall ein erheblich schwereres Vergehen. Sowohl Kaiser´s als auch das Gericht hätten gut daran getan, hier alle Zweifel auszuräumen.
Denn die jetzt losgebrochene Diskussion ist weder für unser Rechtssystem noch für Kaiser´s Tengelmann gut.
Ich sehe die Sache anders. Wenn der Bons in der Maschine liegt und ihn keiner mitgenommen hat, warum sollte sie ihn dann nicht nehmen? Ich kann das nicht nachvollziehen. Wäre die Dame ein einfacher Kunde und hätte die Bons mitgenommen hätte kein Schwein was gesagt. Nur weil sie an der Kasse sitzt wird hier ein Drama raus gemacht. Sie ist schon so lange bei dieser Firma und darum finde ich nicht, dass man sie dafür gleich rauswerfen muss. Die Leute klauen so viel in den Firmen da muss man doch hier kein Drama draus machen.
Die Bons sind zuvor von einem anderen Mitarbeiter gefunden worden und in einem Regal deponiert worden, um sie parat zu haben, falls ein Kunde danach fragt.
Doch ganz unabhängig davon versuchen Sie die Tat (falls sie den stattgefunden hat) zu relativieren. Es stimmt, in vielen Firmen wird gestohlen. Aber das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.
Wenn wir akzeptieren, dass jemand 1,30 Euro stehlen darf und dafür nicht bestraft wird, dann gehen wir auf einen langen Weg der Eskalation. Möglicherweise wird dann in zwanzig Jahren jemand schreiben: „Die Person hat doch nur die Firma niedergebrannt, da muss man doch kein Drama draus machen …“
Als vor einigen Jahren Rudy Giuliani in New York die Kriminalität auf historische Tiefststände senkte, bewirkte er das durch eine Nulltoleranzstrategie. Selbst kleinste Vergehen wurden wieder bestraft. So wurden Bürger zur Rechenschaft gezogen, wenn sie eine Cola Dose auf die Strasse warfen. Interessanterweise gingen dadurch auch die Kapitalverbrechen dramatisch zurück. Denn in einer gepflegten Umgebung setzten sich auch die einfachen Bürger wieder für Recht und Gesetz ein.
Die Kernfrage, die wir hier beantworten müssen ist: In welcher Welt wollen wir leben?
Für die Kassiererin ist das Ganze sicher ein Katastrophe. Allerdings wusste sie (wenn sie es denn getan hat) genau, was sie tat. Dann muss man sie höchstens dafür bedauern, dass sie ihre Existenz für einen Minibetrag geopfert hat. Vielleicht ist das aber auch ein Indiz für ihre Unschuld. Wer weiß?
Zu diesem Satz
„Letztlich müssten es die Aktionäre der Banken sein, die ihre Vorstände zur Rechenschaft ziehen oder dafür sorgen, dass riskante Geschäftsstrategien nicht durch hohe Boni goutiert werden.“
Sie wissen doch ziemlich genau, wie das System funktioniert. Darum wissen Sie auch, dass die Vorstände in der Praxis die Boni selbst festlegen. Allerdings ist dieser Fall nicht vergleichbar mit dem Fall der Kassiererin.
Deshalb habe ich auch nicht geschrieben: „Deshalb sind es die Aktionäre…“.
Das war ja mein Punkt! Was Recht ist, muss Recht bleiben. Wir können unser Recht nicht dadurch relativieren, indem wir den Einzelfall mit anderen Einzelfällen vergleichen. Vermutlich regt sich da bei dem einen oder anderen Widerspruch, weil es vielleicht nicht gerecht sein könnte. Es stimmt, in der Momentbetrachtung sieht es nicht gerecht aus. 😯
Die Konsequenz darf aber nicht sein, dass wir unsere Standards senken, sondern dass wir sie heben und zukünftig alle gleich streng behandeln. 🙂